Evaluationen und Expertisen

Die Arbeitsstelle Gewaltprävention erstellt fortlaufend Evaluationen zu gewaltpräventiven Maßnahmen, Programmen und Förderlinien. Außerdem erstellt sie Expertisen, die mit berlinspezifischem Fokus neue Fragestellungen und Phänomene der Anti-Gewalt-Arbeit beleuchten und Handlungsempfehlungen entwickeln. Unser Vorgehen bei Evaluationen, Forschungen und Begleitungen ist partizipativ ausgerichtet und räumt der engen Zusammenarbeit mit Präventionsakteuren und Auftraggebern einen zentralen Stellenwert ein. Wir verstehen Evaluationen als gemeinsamen Raum, um in systematischer Form Erfahrungen zu reflektieren und Optionen zur Weiterentwicklung von Prävention zu entwickeln.

Beratungsstelle Berlin – „Wege aus dem Extremismus“

Die Beratungsstelle Berlin ­­­– ‚Wege aus dem Extremismus‘ des Trägers Violence Prevention Network e.V. ist ein wichtiges Unterstützungsangebot zu Radikalisierungsvermeidung bzw. Deradikalisierung junger Menschen in Berlin. Sie wird durch das ‚Landesprogramm Radikalisierungsprävention‘ bei der Landeskommission Berlin gegen Gewalt gefördert und ist Teil eines breiten Netzwerks von Behörden sowie zivilgesellschaftlichen Einrichtungen und Initiativen, die sich gegen islamistischen Extremismus einsetzen. Das multiprofessionelle und mobile Team der Beratungsstelle arbeitet lebensweltorientiert und berät und begleitet radikalisierungsbedrohte oder radikalisierte Menschen bei der Stabilisierung ihrer Lebensverhältnisse und der (Re-)Integration in die Gesellschaft.

Die Beratungsstelle wird 2021/22 durch die Arbeitsstelle Gewaltprävention evaluiert. Dabei wird in drei Schritten vorgegangen: (1) Eine Vorstudie fasst den Stand der Evaluationsforschung im Handlungsfeld Deradikalisierung zusammen und gleicht die Beratungsstelle mit ähnlichen Angeboten in anderen Bundesländern ab. (2) Eine Kontext- und Umfeldanalyse erschließt über Interviews mit Expert*innen aus der Berliner Deradikalisierungsarbeit und weiteren Einrichtungen die vielfältigen Kooperationsbeziehungen der Beratungsstelle und ihre Einbettung in die Berliner Präventionsstrategie. Schließlich werden (3) Beratungssetting und -ergebnisse über die Auswertung von Falldaten und Interviews mit Projektbeteiligten und Klient*innen evaluiert.

Klick Clever – Wehr Dich gegen Cybergrooming

Die Lebenswelten und sozialen Beziehungen von Kindern und Jugendlichen spielen sich heute – zunehmend früher – ganz selbstverständlich auch im digitalen Raum ab. Entsprechend gewinnt die Prävention von sexualisierter Gewalt im digitalen Raum – etwa in Form von Cybergrooming – an Bedeutung. Das von Innocence in Danger e.V. konzipierte und umgesetzte und durch die Landeskommission Berlin gegen Gewalt geförderte Projekt Klick Clever zielt darauf ab, Kinder zwischen 9 und 12 Jahren über Cybergrooming aufzuklären und sie in ihrer digitalen Beziehungskompetenz zu stärken. Flankierend werden Pädagog*innen in ihrem Umgang mit dem Thema geschult und gestärkt. Kernelement des Projekts ist eine interaktive Wanderausstellung für Schulklassen.

Die Evaluation erhebt und dokumentiert, inwieweit das Projekt seine selbstgesteckten Ziele erreicht, und identifiziert förderliche und hinderliche Faktoren in der Projektumsetzung, die in eine Weiterentwicklung des Projekts einfließen können.

Quartiersentwicklung und Gewaltprävention in Großsiedlungen der städtischen Peripherie

Die Untersuchung sondiert das Verhältnis von Quartiersentwicklung und Gewaltprävention in einer quartiersvergleichenden Perspektive. Untersucht werden Berliner Großsiedlungen – bspw. das Kosmosviertel in Treptow-Köpenick und das Falkenhagener Feld West in Spandau.

Ein datenbasierter Vergleich untersucht, inwieweit die ausgewählten Quartiere erhöhte Belastungen mit verschiedenen Formen von Gewalt und Kriminalität aufweisen. Zugleich werden über Indikatoren relevante Gebietsmerkmale in Hinblick auf Armut und soziale Benachteiligung berücksichtigt. Quartiersbezogene Handlungskonzepte und Analysen werden dokumentenanalytisch ausgewertet.

Auf der Grundlage von leitfadengestützten Interviews mit Präventionsakteuren aus den Quartieren wird die Frage untersucht, wie sich Zugänge der Quartiers- und Stadtentwicklung sowie der Gewaltprävention auf der sozialräumlichen Ebene entwickeln, ob und wie sie miteinander in Beziehung treten, und wie kooperative und vernetzte Arbeitsweisen zwischen den Themenfeldern und ihren Akteuren gefördert werden können.

Die Istanbul-Konvention in Berlin

Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt („Istanbul-Konvention“) wurde von Deutschland 2018 ratifiziert. Der Menschenrechtsvertrag zielt darauf ab, den Schutz von Frauen vor Gewalt und Diskriminierung zu stärken und macht dazu umfassende Vorgaben zur Prävention von Gewalt, zur Hilfe und Unterstützung im Umgang mit Gewalt, zur Ermittlung und Strafverfolgung und im Bereich koordinierter Handlungsstrategien gegen Gewalt. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Vorgaben ist in Deutschland bereits umgesetzt, nichtsdestotrotz besteht in vielen Bereichen weiterer Handlungsbedarf.

Die Umsetzung der Istanbul-Konvention fordert nicht nur Politik und Verwaltung, sondern bezieht auch Öffentlichkeit und Gesellschaft ein. Um die Berliner Stadtgesellschaft zu informieren und zu sensibilisieren, erstellt die Arbeitsstelle Gewaltprävention eine niedrigschwellig zugängliche Informationsbroschüre mit zehn Fragen und Antworten zur Konvention. Die Broschüre gibt einen Überblick über die Regelungsbereiche, Zielsetzungen und Vorgaben der Istanbul-Konvention, über die Ausgangslage hinsichtlich von Gewalt gegen Frauen in Berlin und der vorhandenen Unterstützungsangebote für Betroffene. Die Broschüre stellt zudem dar, in welchen Bereichen weitergehender Handlungsbedarf besteht.

Radikalisierung und soziale Ungleichheit

In der Radikalisierungsforschung besteht Einigkeit darüber, dass Radikalisierung ein Prozess ist, der von unterschiedlichen Faktoren abhängt und oftmals sehr individuell verläuft. Auch Strukturen sozialer Ungleichheit und Diskriminierung werden immer wieder erwähnt, deren Stellenwert ist in mancherlei Hinsicht aber noch unklar oder umstritten. Ziel der Expertise ist es, vorliegende Erkenntnisse zu ordnen, mögliche Verbindungen zwischen dem Konzept der sozialen Ungleichheit und der Radikalisierungsforschung aufzuzeigen und daraus resultierende Implikationen für die Präventionsarbeit abzuleiten.

Die Expertise schlägt eine Brücke zwischen soziologischem Wissen zu sozialer Ungleichheit und interdisziplinären Erkenntnissen über islamistische Propaganda- und Ansprachestrategien sowie Bedingungsfaktoren individueller Radikalisierungsprozesse. Dabei werden empirische Daten zu Polarisierung und Radikalisierung in Berliner Quartieren sowie sozialräumliche Schutz- und Risikofaktoren analysiert und mit Blick auf Potenziale für die Gewaltprävention ausgewertet. Mit der Ausarbeit ist ‚modus – Zentrum für angewandte Deradikalisierungsforschung‘ beauftragt.

Wege zur Prävention LSBTI-feindlicher Gewalt in Berlin

Berlin versteht sich als „Regenbogenhauptstadt“ und setzt sich für einen positiven Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt ein. Zentraler Teil dieses Engagements ist die Bekämpfung von Diskriminierung, Gewalt und vorurteilsmotivierter Kriminalität, von der LSBTI-Personen auch in Berlin überproportional betroffen sind.

Die Expertise nimmt den in vielerlei Hinsicht vorbildlichen Berliner Ansatz zur Prävention LSBTI-feindlicher Diskriminierung und Gewalt in seiner Genese und aktuellen Ausformung in den Blick. Sie zeichnet zentrale Etappen und Entwicklungsschritte nach, stellt beteiligte Stellen und Akteure vor und beschreibt die etablierten Formen der Zusammenarbeit. Wie wird LSBTI-feindliche Gewalt erfasst und welche Wissenslücken bestehen noch? Wo sind vertrauensvolle Beziehungen zwischen Behörden und Communities bereits etabliert, wo müssen sie noch ausgebaut werden? Wie funktionieren etablierte Präventionsnetzwerke heute, und wie kann die Prävention noch stärker in den Bezirken und Quartieren auch außerhalb der Innenstadt verankert werden?

Theater und Gewaltprävention

Berliner Kinder- und Jugendtheater thematisieren Gewalterfahrungen von Kindern und Jugendlichen auf vielfältige Weise. Im Rahmen verschiedener Stücke und Formate werden zum Beispiel für Themen wie Mobbing, Gewalt innerhalb der Familie oder Missbrauch aufgegriffen und mit künstlerischen Mitteln bearbeitet. Die Thematisierung durch die Mittel des Theaters ermöglicht Perspektivwechsel und bietet einen ganzheitlichen Zugang, um unterschiedliche Formen von Gewalt zu thematisieren sowie Handlungsoptionen kennenzulernen und ggf. zu erproben.

Die Expertise nimmt die Rolle von Kinder- und Jugendtheatern im Feld der Gewaltprävention in den Blick, um Potentiale theaterpädagogischer Zugänge in der Fachdiskussion noch stärker sichtbar zu machen. Sie stellt dar, inwiefern das Thema Gewalt und Gewalterfahrung bereits fester Bestandteil des Repertoires von Theaterhäusern ist sowie welche Netzwerke und Kooperationen in Bezug auf Gewaltpräventionsangebote für Kinder und Jugendliche mit Theatern bestehen. Darüber wird untersucht, welchen positiven Einfluss Theaterstücke für das Konfliktbewusstsein, die Sensibilisierung gegenüber Grenzverletzungen und die Reflexionsfähigkeiten von Kindern und Jugendlichen haben können.

Prävention von Gewalt und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) auf dem Berliner Kampfsportmarkt

Eine Vielzahl von Berliner Kampfsportgyms und Fitnessstudios sind weitgehend außerhalb des klassischen Vereinssports und der Strukturen der Landessportbünde organisiert. Einige menschenfeindliche und kriminelle Gruppen nutzen diesen Markt, um im Kampfsport ihre Gewaltfähigkeiten zu trainieren sowie zu professionalisieren. Die so erlangte Gewaltkompetenz droht, das sportliche Setting zu verlassen und als politische Gewalt im öffentlichen Raum zu erscheinen.

Eine explorative Erforschung dieses weitgehend unregulierten Feldes versucht daher für Berlin einen Überblick über Anbieter und Strukturen zu erlangen, deren Haltungen und Ansätze zu Gewalt und Diskriminierung exemplarisch zu analysieren sowie ihre Bedarfe an Unterstützung im Sinne einer stärkeren Präventionsarbeit in Erfahrung zu bringen.

Mittel- bzw. langfristig können hieraus Maßnahmenvorschläge sowohl für politische Akteure, die Strukturen der Landessportbünde als auch für außerverbandliche Sportstrukturen erarbeitet werden. Die Expertise wird von Robert Claus und Michael Staack extern für die Arbeitsstelle erstellt.

proRespekt - Gewaltfreie Schulen demokratisch gestalten

Mit dem Programm „proRespekt – Gewaltfreie Schulen demokratisch gestalten“ stärkt das Land Berlin die Gewaltprävention an Schulen, fördert die Beteiligung von Schüler*innen an der Gestaltung des Schullebens und setzt sich gegen Schuldistanz und Schulverweigerung ein. An 30 Programmschulen entwickeln proRespekt-Coaches Aktivitäten, die gewaltpräventive Maßnahmen koordinieren und Impulse für die Schulentwicklung geben. proRespekt-Pilot*innen koordinieren auf bezirklicher Ebene und unterstützen die Vernetzung des Programms, eine Fachstelle auf Landesebene begleitet die Umsetzung fachlich.

Die Evaluation des Programms dokumentiert dessen Umsetzung, untersucht seine Bewährung und Ergebnisse und entwickelt Empfehlungen zur Weiterentwicklung. Die Arbeitsstelle Gewaltprävention stimmt das Vorhaben eng und kontinuierlich mit der Fachstelle von proRespekt ab. So wird gewährleistet, dass Zwischenergebnisse prozessbegleitend und formativ genutzt, die Bedarfe und Fragestellungen der Fachstelle berücksichtigt und die Arbeitsprozesse von Evaluation und Programm koordiniert werden können.